Märchenstunde mit Hermann-Josef Tenhagen
Der frühere Chefredakteur des Verbrauchermagazins Finanztest und jetzige Vorsitzender der Geschäftsführung bei Finanztip, hat in einem Beitrag bei Spiegel-Online generell davon abgeraten, Kapitallebensversicherungen vorzeitig zu kündigen. Was ist von dieser Empfehlung tatsächlich zu halten?
Professioneller Rat vor einer Kündigung
Ein Verbraucher, der mit dem Gedanken spielt, seine Lebens- oder Rentenversicherung beitragsfrei zu stellen, zu kündigen oder zu verkaufen, muss im Vorfeld den Vertrag erst einmal unter die Lupe nehmen. Empfehlenswert ist dabei den Rat eines Experten einzuholen. Dazu zählen Versicherungsmathematiker, freie Aktuare, Fachanwälte, zugelassene Versicherungsberater oder -makler, die sich auf solche Produkte spezialisiert haben. Zur Prüfung eines Vertrages müssen die erforderlichen Unterlagen bei der Versicherungsgesellschaft eingeholt und der tatsächlich erzielte Effektivzins nach Abzug der Kosten errechnet werden. Eine Prognose über die künftige Verzinsung gestaltet sich allerdings schwierig, da sich die Versicherer in der aktuellen Niedrigzinsphase schwer tun, Renditen zu erzielen.
Was bringt der Garantiezins wirklich?
Seit 01.01.15 liegt der Garantiezins für klassische Kapitallebens- und Rentenversicherungen bei 1,25 %. In den Jahren 1996 bis 2000 betrug dieser noch ca. 4 %. Vielen Bürgern ist jedoch nicht bewusst, dass es den Zinssatz nur auf den Sparanteil des Vertrages gibt. Der (teilweise erhebliche) Kostenanteil und der enthaltene Beitrag für den Todesfallschutz in der Kapitallebensversicherung, sind davon ausgenommen. Somit liegt die Zinszusage weit unter dem vermeintlich garantierten Satz. Selbst bei den von Hermann-Josef Tenhagen hochgepriesenen Verträgen aus den letzten Jahren des vergangenen Jahrtausends liegt der tatsächliche Garantiezins meist deutlich unter 2 %.
Die Auszahlungssumme halbiert sich
Aus meiner Praxis sind mir mehrere Fälle bekannt, bei denen sich die prognostizierte Ablaufleistung seit Abschluss bis zum jetzigen Zeitpunkt – trotz unveränderter Beitragszahlung – mehr als halbiert hat. Auch den Redakteuren des Onlineportals Versicherungsboten liegt ein solches Fallbeispiel vor. Hier handelt es sich um eine Kapitallebensversicherung mit einem Garantiezins von 4 % aus dem Jahr 1999. Beim Abschluss wurde gemäß der Mitteilung des Versicherers, dem Vertrag eine erwartete Auszahlung von gut DM 80.000, umgerechnet ca. € 41.000, zugrunde gelegt. Laut der Wertmitteilung aus dem Jahr 2014 sank die prognostizierte Ablaufleistung auf € 19.000, trotz unveränderter Beitragszahlung und ohne vorübergehende Stilllegung. Somit hat sich die zu erwartende Auszahlungssumme innerhalb von 15 Jahren mehr als halbiert!!
Magere Renditen in der Realität
Experten des Onlineportals haben zu diesem Vertrag eine Effektivverzinsung nach Kosten von 1,61% zum Ablauf errechnet unter der Maßgabe, dass die Höhe der aktuellen Überschussbeteiligung bis zum Vertragsende konstant bleibt. Der tatsächliche Wert eines Garantiezinses von 4 % in der Realität ist somit klar. Bei einer Kündigung zum Jahr 2014 betrug die Verzinsung, bezogen auf den tatsächlichen Rückkaufswert, 2,59 %.
Neuorientierung empfohlen
Der Versicherungsnehmer hat den Vertrag mittlerweile gekündigt. Den Todesfallschutz, der im besagtem Vertrag zu gering war, hat er durch eine separate Risikolebensversicherung kostengünstig eingedeckt. Der Rückkaufswert wurde in ein Investmentdepot mit mehreren Fonds einbezahlt. Zusätzlich bespart er dieses Depot mit einem monatlichen Betrag, um seine eigene Altersvorsorge aufzubauen.
Tenhagen irrt
Den Aussagen des ehemaligen Chefs der Finanztest auf Spiegel-Online zu den klassischen Lebensversicherungen – speziell Alt-Verträge nicht zu kündigen – ist völlig undifferenziert und daher zu widersprechen. Jeder einzelne Vertrag muss für sich gesehen und geprüft werden. Erst dann sind die Grundlagen für die Entscheidung geschaffen, ob eine Fortführung oder Kündigung der Versicherung der richtige Weg ist. Der Sinn eines bestehenden Vertrages ist immer dann zu hinterfragen, wenn zeitgleich Darlehensverpflichtungen bestehen. Eine derartige Konstellation ist nur dann sinnvoll, wenn die Rendite der Versicherung höher ist, als die Summe aus Darlehenszinsen und Inflation. Anderenfalls wird dem schlechten Geld, das sowieso weg ist, noch gutes hinterher geworfen.